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Fachbeitrag

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche – Handlungs- und Maßnahmenkonzept der nordrhein-westfälischen Landesregierung
Beitrag aus dem NRW-Ministerium (MKFFI)

Im August 2020 traf sich der Vorstand der LAG NRW mit Frau Barbara Knappstein, Leiterin des Referates „Soziale Familiendienste und Familienbildung“, im Familienministerium des Landes NRW (MKFFI). Ziel war eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitenden der Erziehungsberatungsstellen, die wir vertreten, und den zuständigen landespolitischen Akteuren. Ein Ergebnis des Austauschs ist der folgende Beitrag, den Frau Knappstein in Co-Autorenschaft mit Herrn Uwe Schulz exklusiv für das LAG-Journal verfasste. Sie geben uns damit einen Einblick in die aktuelle landespolitische Initiative zum Thema „Sexualisierte Gewalt“, den Neuaufbau der Landesfachstelle „Prävention sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ und den Ausbau der spezialisierten Beratung bei sexualisierter Gewalt in NRW.

Kinder und Jugendliche sind möglichst umfassend vor Verwahrlosung, Misshandlung und Gewaltanwendung zu schützen. Seit Bekanntwerden der schweren Fälle sexualisierter Gewalt in Lügde, Bergisch-Gladbach und Münster gilt dies umso mehr für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt. Dabei haben die öffentlich gewordenen Vorkommnisse noch einmal ans Licht gebracht, wie verbreitet sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Jungen im Alltag ist. Die Landesregierung hat die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche daher erheblich verstärkt.

Im Dezember 2020 hat das Landeskabinett ein umfangreiches Handlungs- und Maßnahmenkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt beschlossen. Ziel des Handlungs- und Maßnahmenkonzepts ist es, Prävention gegen sexualisierte Gewalt zu stärken, Intervention weiterzuentwickeln und Hilfen für Betroffene und deren Angehörige zu verbessern. Das Handlungs- und Maßnahmenkonzept beinhaltet insgesamt 59 Maßnahmen in sieben Handlungsfeldern, die von den einzelnen Ministerien der Landesregierung schon in die Umsetzung gebracht wurden oder sich in Planung befinden. Das Konzept leistet damit auch einen wichtigen Beitrag zur fachlichen Diskussion, wie der Kinderschutz in Nordrhein-Westfalen weiter gestärkt werden kann. Akteure und Fachkräfte aus allen relevanten Bereichen sollen noch besser miteinander kooperieren, Fortbildungen und Schutzkonzepte in die Fläche gebracht sowie Qualitätskriterien und vorhandene Strukturen im Kinderschutz gestärkt und weiterentwickelt werden.

Das Handlungs- und Maßnahmenkonzept der Landesregierung ist das Ergebnis einer Interministeriellen Arbeitsgruppe, in der neun Ministerien seit Herbst 2019 Vorschläge beraten und ausgearbeitet haben. In diesen Prozess sind seitens des Familienministeriums die Ergebnisse zahlreicher Gespräche mit Expertinnen und Experten der Kinder- und Jugendhilfe aus Nordrhein-Westfalen, wie Fachberatungen, Jugendämtern, Landesjugendämtern, kommunalen und freien Trägern, Wissenschaft und Betroffenenverbänden einbezogen worden.

Das Konzept baut auf dem „Impulspapier über Maßnahmen zur Prävention, zum Schutz vor und Hilfe bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ auf, das von Familienminister Stamp in der Folge der Vorkommnisse von Lügde bereits im Sommer 2019 den Abgeordneten des Landtages und der Fachöffentlichkeit vorgelegt worden war und bereits wesentliche Maßnahmen beinhaltete, die nun im Handlungs- und Maßnahmenkonzept der Landesregierung festgeschrieben sind. Das Handlungs- und Maßnahmenkonzept gibt zentrale Hinweise zu Stellschrauben, die dazu beitragen, sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche so frühzeitig wie irgend möglich zu erkennen und zu unterbinden und Betroffenen und ihren Familien möglichst effektive Unterstützung anbieten zu können. Enthalten sind differenzierte Maßnahmen aus unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen (wie Kinder- und Jugendhilfe, Schule, Justiz, Polizei und Gesundheit). Sie beziehen sich v.a. auf rechtliche Initiativen (wie z.B. verbesserte Regelungen zum Pflegekinderwesen), die Weiterführung oder den Aufbau von Strukturen und Mechanismen (wie z.B. die Umsetzung von Schutzkonzepten in Einrichtungen) sowie auch konkrete Angebote für Zielgruppen (z.B. Sensibilisierungsangebote für Kinder und Jugendliche oder Qualifizierungsangebote für unterschiedliche Berufsgruppen im Kinderschutz).

Dabei hat Minister Stamp für das Familienministerium von Anfang an deutlich gemacht, dass er die im Impulspapier und nunmehr im Handlungs- und Maßnahmenkonzept genannten Ansätze in eigener Zuständigkeit in die Umsetzung bringen wird. Ganz zentral dafür ist, dass entsprechende Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Dafür ist Vorsorge getroffen worden.

Landesfachstelle

Eine zentrale Rolle bildet dabei die vom Kinder- und Familienministerium im vergangenen Jahr gegründete Landesfachstelle „Prävention sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ in Trägerschaft der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW e.V. und unter der Leitung von Frau Dr. Nadine Schicha. Aufgabe der Landesfachstelle ist es, die Prävention gemeinsam mit den freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe zu stärken. Sie bietet dem Personal in Kindertageseinrichtungen, der Jugendarbeit, dem offenen Ganztag und weiteren Angeboten in der Kinder- und Jugendhilfe Informationen, Fortbildung und Beratung an. Darüber hinaus ermöglicht sie die Vernetzung von Fachkräften und Einrichtungen und somit Bündelung des Wissens im Bereich des Kinderschutzes in Nordrhein-Westfalen.

Die Landesfachstelle, die zu Beginn mit 4,5 Personalstellen ausgestattet ist, fungiert als allgemeine Anlaufstelle für Fachkräfte und Personal. Sie soll Angebote für die Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen und deren Eltern verbreiten, gemeinsam mit den Trägern und Einrichtungen im Feld fachliche Empfehlungen für die praktische Arbeit im Kinderschutz mit besonderem Schwerpunkt auf der Prävention sexualisierter Gewalt vereinbaren und durch Qualifizierungs- und Fortbildungsangebote unterstützen sowie zur Umsetzung von Schutzkonzepten beraten. Weiterhin gehört der Aufbau von Wissenspools (z.B. zu Fachreferentinnen und -referenten), die Erstellung von Arbeitshilfen und Informationsplattformen sowie die Durchführung von Fachtagen und Workshops zum Portfolio der Landesfachstelle. Damit die Landesfachstelle darüber hinaus in der Fläche besser Wirkung entfalten kann, ist vorgesehen, in diesem Jahr zusätzlich jeweils einen Fachreferent oder eine Fachreferentin pro Regierungsbezirk in Nordrhein-Westfalen zu verankern. Das Team der Landesfachstelle soll somit um insgesamt 5 Personen erweitert werden.

In der Kinder- und Jugendhilfe soll die Landesfachstelle ein wertvoller Motor für die flächendeckende fachliche Qualitätsentwicklung im Bereich der Prävention sowie der Intervention und Nachsorge bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche werden. Nordrhein-Westfalen ist das erste Bundesland, das eine solche Fachstelle dauerhaft eingerichtet hat. Die Landesfachstelle ist unter www.psg.nrw erreichbar.
In Ergänzung zur Einrichtung der Landesfachstelle, die sich vor allem an die Landschaft der freien Träger in NRW richtet, haben das Land und die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe vereinbart, die Fachberatungsangebote für die 186 Jugendämter in NRW im Bereich der Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt bei den beiden Landesjugendämtern auszubauen. Das Land finanziert dort seit 2020 insgesamt vier zusätzliche Stellen für Fachberatung.

Ausbau spezialisierter Beratung

Einen wesentlichen Baustein der Prävention von, dem Schutz vor und der Hilfe bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche bilden die örtlichen und vom Land geförderten allgemeinen Erziehungs- und Familienberatungsstellen sowie die spezialisierten Beratungsstellen gegen sexualisierte Gewalt.

Im Rahmen der aktuell abgeschlossenen umfassenden Evaluation der familienpolitischen Leistungen des Landes Nordrhein-Westfalen, bei der auch die Familienberatung evaluiert wurde, wurde in einer Sonderauswertung untersucht, wie die Familienberatung in NRW mit Blick auf den Themenkomplex „sexualisierte Gewalt“ aufgestellt ist. Themenspezifische Fragen wurden in eine umfangreiche Befragung bei sämtlichen Familienberatungsstellen integriert. Zusätzlich wurden Daten aus dem jährlichen Berichtswesen analysiert. Bislang fehlte in NRW eine solche belastbare und umfassende Datengrundlage zu den Strukturen und Rahmenbedingungen für Prävention, Hilfen und Intervention für minderjährige Opfer sexualisierter Gewalt und ihre Familien.

Im Rahmen der Sonderauswertung wurden empirische Erkenntnisse zu den Strukturen und Rahmenbedingungen von spezialisierter Fachberatung zum Themenkomplex „sexualisierte Gewalt“ generiert und analysiert. Dies vor dem Hintergrund, dass von sexualisierter Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche sowie ihre Familien ebenso wie ratsuchende Fachkräfte geeignete und gut ausgebildete Strukturen vor Ort benötigen, um kurzfristig Hilfe und Unterstützung zu erhalten.

Ein Ergebnis der von PROGNOS angefertigten Sonderauswertung ist, dass – bezogen auf alle landesgeförderten Erziehungs- und Familienberatungsstellen – im Kontext der Beratung bei sexualisierter Gewalt eine „solide Grundversorgung“ durch die Beratungsstruktur der Erziehungs- und Familienberatung in NRW zur Verfügung steht. Bedarf besteht in dem quantitativen und qualitativen Ausbau spezialisierter Beratung und einer konkreten Ausgestaltung von Mindestanforderungen und einheitlichen Qualitätskriterien.

Der Ausbau ist als ein Handlungsziel im Handlungs- und Maßnahmenkonzept der Landesregierung benannt und somit ein wesentliches Ergebnis der Evaluation unmittelbar aufgegriffen. Das Familienministerium stellt denn auch für den Ausbau in einem ersten Schritt ab 2021 jährlich rund 3,6 Mio. Euro zusätzlich zur Verfügung. Damit sollen ab 2021 die Anzahl der landesgeförderten Vollzeitstellen für die spezialisierte Beratung von derzeit ca. 40 auf 95 Stellen aufgestockt werden. Der Ausbau soll an die bewährten Strukturen anknüpfen. Fachkraftstellen für die spezialisierte Beratung gegen sexualisierte Gewalt können entweder für bereits bestehende Erziehungs- und Familienberatungsstellen oder für neu einzurichtende Beratungsstellen beantragt werden. Das Antragsverfahren wird auf der Grundlage von Fördergrundsätzen durchgeführt. Wesentlicher Bestandteil der Fördergrundsätze sind qualitative und quantitative Merkmale der spezialisierten Fachberatung. So soll der beantragte Aus- bzw. Aufbau der Beratungsstruktur vorrangig zum flächendeckenden Ausbau des Beratungsangebots in NRW beitragen und zunächst die regionale Verteilung entscheiden. Ebenso muss eine Beratungsfachkraft z.B. immer eine Anbindung an ein Team haben und die Beratungsstelle die Einbindung in regionale Netzwerkarbeit mit Partnern anderer Systeme wie Polizei, Justiz, Gesundheitswesen, etc. gewährleisten. Das beantragte Beratungsangebot muss Teil der örtlichen Jugendhilfeplanung sein. Der Beschluss des Jugendhilfeausschusses bezüglich der Einbeziehung des Beratungsangebotes in die örtliche Jugendhilfestruktur sowie in regionale Maßnahmen nach § 8a SGB VIII soll dem Antrag beigefügt werden.

In Nordrhein-Westfalen erfährt der Kinderschutz mit diesem Ausbau der spezialisierten Beratungsangebote eine deutliche Stärkung. Die spezialisierten Beratungsangebote sind Teil des umfassenden Handlungs- und Maßnahmenkonzeptes der Landesregierung und tragen wesentlich zur Prävention, Intervention und Nachsorge bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen bei.

Referent:in

Barbara Knappstein
Leiterin des Referats „Soziale Familiendienste, Familienbildung“ im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen
Uwe Schulz
Leiter des Referats „Ganztagsbildung, Kulturelle Bildung, Prävention sexualisierte Gewalt, Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe“ im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen

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