Der Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen hat sich im Dezember 2019 als „Verantwortungspartnerschaft“ mit Akteur*innen aus Politik, Spitzenverbänden, Wissenschaft, Fachpraxis und zivilgesellschaftlichen Verbänden konstituiert. Die Arbeit zielt auf ein kontinuierliches und abgestimmtes Handeln zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und vor Ausbeutung sowie darauf, Maßnahmen für verbesserte Hilfestrukturen für Betroffene zu ermöglichen. In verschiedenen Arbeitsgruppen werden dabei konkrete Themen diskutiert, u.a. die Verbesserung der Datenlage, die Stärkung und Verbesserung des Hilfesystems oder auch die Entwicklung eines betroffenensensiblen Verfahrens im Rahmen des neuen Sozialen Entschädigungsrechts, das zum 1.1.2024 in Kraft treten wird.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren als Fachverband der bundesweit aktiven Kinderschutz-Zentren ist konstituierendes Mitglied im Nationalen Rat und unterstützt die Arbeit aus zwei Perspektiven. Erstens mit Erkenntnissen und Erfahrungen, die wir in der konkreten Beratungsarbeit vor Ort machen, also die wir aus der Arbeit mit von allen Formen von Gewalt betroffenen Kindern, Jugendlichen und Familien und aus der Kooperation im Hilfesystem gewinnen. Hinzu kommen zweitens Erkenntnisse aus unseren Qualifizierungsangeboten im Kinderschutz, aus bundesweiten Fachkongressen und der Qualitäts- und Praxisentwicklung im Kinderschutz. Es ist uns wichtig, dass wir in Abstimmung mit anderen Akteur*innen immer auch die Sicht der Kinder, Jugendlichen und Familien und der Fachpraxis miteinfließen lassen und künftige Maßnahmen praxistauglich sein müssen. Hier sehen wir unsere Rolle und unsere Verantwortung im Nationalen Rat.
Aus unserer Sicht ist es wichtig zu verstehen, dass es sich bei Gewalt um mehrschichtige und komplexe Phänomene handelt, die meist mit schwachen Signalen einhergehen und die immer die ganze Aufmerksamkeit fordern. Erziehungsberatungsstellen bieten Kindern, Jugendlichen und Eltern Hilfe bei unterschiedlichen Problemstellungen an. In ihrem Beratungssetting können die Fachkräfte mit dem Verdacht auf sexuelle Gewalt an einem Kind oder Jugendlichen konfrontiert sein oder mit der konkreten Offenlegung eines gewalttätigen Übergriffs. Erziehungsberatungsstellen können einen Ort bieten, an dem die Offenlegung von (sexueller) Gewalt möglich ist und wo weiterführende, schnelle Hilfe möglich werden kann. Insofern sind sie wichtige Zugänge für Kinder, Jugendliche und Eltern, durch die Hinweise auf mögliche sexuelle Gewalt früh wahrgenommen und erkannt werden können und auch werden.
Es gibt und gab gute Bundesmodellprojekte zur Prävention wie z.B. „Trau dich“, „#UNDDU? Mach dich stark gegen sexuelle Gewalt unter Jugendlichen“ oder „Ehrenamt und Schutzkonzepte“. Ein wichtiger Schritt in der Prävention aber ist die Entwicklung von Schutzkonzepten in Schulen, Kitas und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Leider gibt es aber bei der Begleitung der Entwicklung der Schutzkonzepte noch viele Leerstellen. Die Einrichtungen wünschen sich eine qualifizierte Begleitung bei dieser Aufgabe, aber es gibt zu wenige Stellen, die diese Bedarfe decken können. Die Kinderschutz-Zentren haben hierzu eine modulare Fortbildung entwickelt, um Prozessbegleiter*innen auszubilden, was auf große Nachfrage, aber leider auch auf begrenzte Ressourcen trifft. Auch die Erziehungsberatung ist eine wichtige Säule der Prävention durch die Vermittlung von gewaltfreien, kooperativen, liebevollen Erziehungsstilen. Gestärkte Kinder, grenzklare Erziehungsverantwortliche und selbstwirksame Familien sind weniger vulnerabel im Sinne der Anfälligkeit für Gewalt. Das ist ein wichtiger Beitrag, den Erziehungsberatungsstellen im Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern leisten.
Aus unserer Sicht müssen grundlegende Anstrengungen unternommen werden, um den Kinderschutz zukunftsfähig und als elementaren Rechtsanspruch für Kinder, Jugendliche und Familien verlässlich zu gestalten. Wir sind noch weit entfernt davon, Rechte von Kindern zu verwirklichen und Eltern in Krisen und Konflikten die Unterstützung zu gewähren, die ihnen gesetzlich zugesichert ist. Hier sind das gesamte Hilfesystem und insbesondere die Politik aufgefordert, gleiche Versorgungsstrukturen in allen Regionen zu schaffen und trotz Fachkräftemangels gegenwärtig zu beobachtenden Deprofessionalisierungstendenzen entgegenzutreten. Ein anderes Problemfeld, mit dem wir uns in den Kinderschutz-Zentren befassen, ist das bisher noch vernachlässigte Thema der (sexuell) übergriffigen Kinder und Jugendlichen. Diese Kinder und Jugendlichen brauchen professionelle Hilfe und Unterstützung dabei, zu gesunden, prosozialen Erwachsenen heranwachsen zu können. Dazu braucht es mehr Netzwerke, mehr Fachkräfte und mehr Wissen in diesem Bereich. Eine weitere Baustelle ist die Verankerung des Themas der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Rahmen der Ausbildung an Fachschulen und Hochschulen im pädagogischen, medizinischen und juristischen Bereich. Nur so kann eine umfassende Sensibilisierung und ein qualifizierter Umgang mit sexueller Gewalt angebahnt werden. Denn bisher verlassen Psycholog*innen, Jurist*innen, Lehrer*innen, Erzieher*innen oder Pflegekräfte mit einer eher mangelhaften Vorbildung bezüglich sexueller Gewalt an Kindern ihre Ausbildungsorte. Das führt zu einer großen Unsicherheit im Berufsalltag und behindert das Erkennen von sexueller Gewalt und das Einleiten notwendiger Schutz- und Hilfemaßnahmen. Allerdings ist hier aber in letzter Zeit einiges in Bewegung gekommen, und es wird darüber diskutiert, wie das Thema der sexuellen (aber auch anderer Formen von) Gewalt an Kindern in verschiedenen Ausbildungsgängen implementiert werden kann.
Das ist eine komplexe Herausforderung, und die Frage lässt sich sicher nicht in drei oder vier Zeilen beantworten. Beim Kinderschutzforum in diesem Jahr haben wir einige dieser Themen aufs Tableau gebracht und diskutiert, konkrete Veränderungen für die Beratungsarbeit müssen aber noch weiter diskutiert werden. Im Setting der Erziehungsberatung muss aus unserer Sicht die mögliche Betroffenheit durch digitale Gewalt, wie Mobbing, Sexting, digitales Grooming, mitgedacht und die Atmosphäre dafür geschaffen werden, dass diese Themen auch angesprochen werden können. Sicherlich passiert das bereits in den meisten Beratungsstellen, trotzdem sollte für dieses Thema weiterhin sensibilisiert werden. Einen gesunden Umgang mit Medien mit den Familien zu entwickeln, gehört ebenfalls zum modernen Aufgabenspektrum von Erziehungsberatung. Während für die einen Berater*innen die digitale Welt schon immer selbstverständlicher Teil des Lebens war, gibt es andere, die nicht der Generation der „Digital Natives“ angehören. Daher haben auch Erziehungsberatungsstellen heutzutage die Aufgabe, gemeinsam im Team Medienkompetenz und eine Haltung dazu zu entwickeln, die dann in den Beratungen den Eltern vermittelt werden kann.
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