Eine Jugendberatungsstelle ist formal gesehen eine Erziehungsberatungsstelle. Für sie gelten die gleichen Fördergrundsätze des Landes Nordrhein-Westfalen wie für andere Familienberatungsstellen. Die Jugendberatungsstelle JUBS wurde 1980 gegründet und ist eine von sechs Jugendberatungsstellen in NRW (Controllingbericht Familienberatung, 2022). Sie besteht aus Fachkräften der Psychologie, Sozialpädagogik und einer Teamassistentin. Sie berät Jugendliche und junge Erwachsene aus der Stadt Neuss im Alter von
14 bis 27 Jahren und deren Bezugspersonen. Grundlage für die Hilfen sind vor allem § 28 und § 41 nach SGB VIII. Pro Jahr werden ca. 300 Klient*innen beraten.
Es gibt viele unterschiedliche Namen für Beratungsstellen, die auch Jugendliche beraten (Familienberatungsstelle, Beratungsstelle für Eltern, Familie, Kinder und Jugendliche, Psychologische Beratungsstelle, Erziehungsberatungsstelle u.s.w.). Aus Perspektive der Jugendlichen werden sie aber selbst nicht adressiert, sondern nur mitgemeint. Dieses ist jedoch nach unserer Erfahrung notwendig. Sie brauchen eine gezielte Ansprache, die verdeutlicht, dass sie auf Berater*innen treffen, die sich mit ihrer Lebenswelt auskennen und von denen sie akzeptiert werden.
Viele Jugendliche, jungen Erwachsene und ihre Eltern erreichen uns über unsere Homepage. Welche Seite der Homepage wird am häufigsten angeklickt? Die Seite mit dem Teamfoto! Die Jugendlichen und Erwachsenen wollen sich ein Bild von den Menschen machen, mit denen sie es zu tun haben. Häufig sind die Seiten von Beratungsstellen in den Seiten der Träger integriert. Dort werden sie aber nicht von Jugendlichen vermutet und somit nicht gefunden.
Der Wartebereich für die Jugendlichen ist gleichzeitig unsere Teeküche, sodass sich die Berater*innen und die Jugendlichen dort begegnen und einen ersten Eindruck voneinander bekommen können. Einen separaten Wartebereich für Jugendliche mit entsprechenden Infomaterialien zu schaffen, in dem z. B. kein Kinderspielzeug oder keine Kinderbücher vorhanden sind, ist ein Zeichen für die Haltung und Wertschätzung, die den Jugendlichen entgegengebracht wird.
Wir kooperieren eng mit den Neusser Schulen. Alle Schülerinnen und Schüler der 8. Klassen kommen zu uns in die Stelle und lernen die JUBS kennen. Die Beratungsräume werden thematisch unterschiedlich gestaltet: Unser Ziel ist dabei, dass die Jugendlichen die Räumlichkeiten und uns Mitarbeiter*innen in einem ungezwungenen Kontext kennenlernen und wir ihnen vermitteln können, dass wir der Schweigepflicht unterliegen. Hemmschwellen werden für die Jugendlichen leichter abgebaut, wenn sie zu uns in die Stelle kommen, als wenn wir in die Schulen gehen.
Zusammen mit dem Schulpsychologischen Dienst des Rhein-Kreis Neuss organisieren wir für die weiterführenden Schulen das „Netzwerk für Beratungslehrer*innen und Schulsozialarbeiter*innen“. Beim „Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Neuss“ (ZfsL Neuss), also da, wo die Referendar*innen ausgebildet werden, stellen wir unsere Stelle einmal im Jahr vor. Das bedeutet, dass fast alle zukünftigen Lehrer*innen im Rhein-Kreis Neuss uns und unsere Arbeit kennenlernen und wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie für einen Jugendlichen weitere Hilfen vermitteln möchten. In der Kooperation mit Schulen können wir so immer wieder deutlich machen, welche Hilfen wir leisten können und wie wir uns eine Zusammenarbeit oder Überleitung in Einzelfällen vorstellen. Durch die persönlichen Kontakte entwickeln sich tragfähige Beziehungen, die einen „kurzen Draht“ oder schnelleren Informationsaustausch begünstigen.
Die allermeisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen kommen über „Mund zu Mund“-Propaganda zu uns. Einige kommen, weil sie uns bei den Projekttagen in Zusammenarbeit mit ihrer Schule kennengelernt haben und wiederum andere kommen, weil sie uns gegoogelt haben. Manche bringen auch Freund oder Freundin als Unterstützung zur Anmeldung mit. In der Altersgruppe der 14- bis 16-Jährigen wird ein großer Anteil der Jugendlichen (ca. 50 %) von ihren Eltern mit in die Stelle gebracht, davon sind einige dann erleichtert, dass sie nun Hilfe bekommen können, und andere zeigen deutlich, dass sie nur mitgeschleppt wurden.
Der erste Kontakt zu uns führt in der Regel über unsere Teamassistentin. Für Jugendliche stellt ein Telefonat häufig schon eine große Hürde dar. Daher spielen eine annehmende Grundhaltung und ein Gespür für die Dringlichkeit des Anliegens für die erste Kontaktaufnahme eine wichtige Rolle. Die Jugendlichen können auch für das Anmeldegespräch mit unserer Teamassistentin in unsere Stelle kommen, um weitere Schwellenängste zu minimieren. Die Teamassistentin ist in die Team- und Fallbesprechungen miteinbezogen. Aus dem Anmeldegespräch schildert sie ihre Eindrücke, was den Berater*innen wertvolle Hinweise für Hypothesen und das erste Beratungsgespräch liefert.
Manche Jugendliche passen nicht in das übliche Schema: Erst erfolgt die Klärung der Anliegen, dann die Behandlung bzw. Beratung. Diese Jugendlichen wissen noch nicht so genau, was sie „eigentlich“ wollen. Sich gemeinsam mit ihnen auf diesen Prozess der Suche einzulassen, macht manchmal schon die Beratung aus: Am Ende der Gespräche wissen sie, welches ihre Themen sind, sie haben eine Sprache gefunden für das, was sie im Inneren beschäftigt, und können damit selbstständig weiter umgehen.
Wir als Berater*innen bieten den Jugendlichen ein Gegenüber, das ihnen zur Seite steht, um ihren Gefühlen und ihren Gedanken Sprache zu verleihen. Wir bieten uns ihnen als Strukturierungshilfe an und begleiten sie bei ihren selbstreflektorischen Prozessen.
Entlastend ist es für Jugendliche, wenn sie erleben, dass sie nicht umerzogen werden sollen, sondern dass man ihnen durch den Beratungsprozess zusätzliche Verhaltensmöglichkeiten an die Hand gibt, die sie erlernen und ausprobieren können, und dass sie für sich selbst entscheiden können, welchen Lösungsansatz sie wählen möchten.
Wir haben gute Erfahrung damit gemacht, bei Anliegen, bei denen wir einen eigenen Beratungsbedarf der Jugendlichen vermuten, die Gespräche mit zwei Berater*innen zu beginnen. Wir bieten den Jugendlichen am Ende des Gesprächs an, ihr eigenes Anliegen im Einzelsetting mit einem Berater oder einer Beraterin weiter zu bearbeiten, während der/die andere Berater*in die Eltern unterstützen kann. Der Vorteil für die Jugendlichen besteht dabei darin, zuerst unsere Arbeitsweise und die Berater*innen kennenzulernen und sich erst dann zu entscheiden, ob er/sie sich auf ein Arbeitsbündnis einlassen möchte.
Beim „Joinen“ des Jugendlichen hilft es nach unserer Erfahrung zunächst, mit ihm/ihr einen kleinen Streifzug durch seine/ihre Lebenswelt zu unternehmen und dabei die möglichen Ressourcen und Stärken einzusammeln. Häufig machen wir die Erfahrung, dass die Eltern ganz erstaunt darüber sind, wie bereitwillig die Tochter oder der Sohn von sich erzählt und auch darüber, wieviel Neues sie erfahren. Erst danach lohnt es sich, den Blick auf das „Problem“ zu richten: „Was glaubst du, weshalb haben sich deine Eltern an uns gewandt, worüber machen sie sich Sorgen?“
Wenn es für das Anliegen der Eltern hilfreich ist, dass die weiteren Gespräche zusammen mit dem Jugendlichen stattfinden sollen, dann werden die Eltern aufgefordert, diese zu motivieren. Dabei bitten wir die Eltern, ihre Jugendlichen zu fragen: „Wir brauchen zur Lösung unserer Fragen deine Hilfe und möchten dich bitten, für ein Gespräch mitzukommen.“ Dieses Vorgehen nimmt den Fokus vom Problemverhalten des Jugendlichen. Die Bitte nach einem Gespräch soll die Schwelle für die Jugendlichen senken und signalisieren, dass zunächst kein längerer Beratungsprozess geplant ist. Hilfreich kann auch sein, dass die Eltern den Wunsch des Beraters oder der Beraterin an ihren Jugendlichen weitergeben, die Sichtweise auf ein Problem von dem Jugendlichen selbst zu erfahren und lieber „mit ihm als über ihn“ zu sprechen.
Jugendberatung als Teil der Jugendhilfe sollte ein möglichst niederschwelliges Angebot für die Zielgruppe darstellen. Als Bindeglied zwischen dem Jugendhilfesystem und dem Gesundheitssystem kommt den Beratungsstellen eine besondere präventive Funktion zu. Sie können psychische Störungen frühzeitig erkennen und gegebenenfalls die Ratsuchenden zu einer weitergehenden Behandlung im Gesundheitssystem motivieren und begleiten. Eine Diagnostik im klinischen Sinne führen wir nicht durch. Bei Verdachtsfällen vermitteln wir in unserer Beratungsstelle an niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiater*innen oder an entsprechende psychiatrische Ambulanzen.
Manche der jungen Menschen liefern einem schon eine fertige Diagnose über sich selbst: „Ich bin Borderliner.“ Das ist dann häufig eine gegoogelte Diagnose, die es sicherlich zu hinterfragen gilt, insbesondere bei unter 18-Jährigen. Dahinter können vielfältige Bedürfnisse stecken, wie etwa was „Anerkanntes“ zu haben, ein Bedürfnis nach Zuwendung oder der Wunsch nach einer Erklärung und Entlastung, weshalb manches im Leben nicht klappt. Natürlich kann die Diagnose auch stimmen!
Durch das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz vom 09.06.2021 wurden die Rechte von Kindern und Jugendlichen erweitert. Sie haben nun nach § 8 Abs. 3 SGB VIII einen Rechtsanspruch auf Beratung ohne Kenntnis der Personensorgeberechtigten. Diese Rechte sind auch Fachleuten und Multiplikator*innen (z. B. Schulsozialarbeiter*innen und Beratungslehrer*innen) teilweise zu wenig bekannt und sollten noch mehr verbreitet werden. Im Gegensatz zu Beratungsstellen benötigen niedergelassene Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen für eine Therapie bis auf wenige Ausnahmen die Einwilligung beider Eltern.
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