Der Rechtsanspruch von Kindern und Jugendlichen auf vertrauliche Beratung ohne Kenntnis der Personensorgeberechtigten ist im § 8 Abs. 3 SGB VIII festgeschrieben. Eine Beratungsfachkraft ist somit zum Schutz des Privatgeheimnisses des Kindes oder Jugendlichen auch gegenüber seinen Eltern verpflichtet, sofern und solange eine Mitteilung an diese den Beratungszweck vereiteln würde (vgl. bke 2012, S. 17). Vereitelt würde der Beratungszweck z. B., wenn dem Minderjährigen negative Reaktionen durch die Eltern drohen oder auch dann, wenn die Beratung nach einer Offenlegung nicht weitergeführt wird, obwohl Bedarf besteht (vgl. Wapler 2022, S. 113). Wapler führt im Kommentar zum SGB VIlI zum § 8, Abs. 3 aus: „Neben der Fallgruppe der drohenden oder manifesten Kindeswohlgefährdung darf die Mitteilung an die Eltern daher in verfassungskonformer Auslegung auch dann entfallen, wenn die Entscheidung, Beratung und Hilfe unabhängig von den Personensorgeberechtigten zu suchen, Ausdruck einer selbstverantwortlichen Entscheidung ist. (…)“ „Das Grundrecht des Kindes auf Entwicklung zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) genießt in diesen Fällen Vorrang gegenüber dem elterlichen Erziehungsrecht“ (Wapler 2022, S. 112–113). Dabei handelt es sich aber nicht um einen bedingungslosen Beratungsanspruch ohne Kenntnis der Personensorgeberechtigten. „Ganz im Gegenteil sind die Eltern nachträglich über die Beratung zu informieren, sofern dadurch nicht der Beratungszweck vereitelt wird“ (Wapler 2022, S. 113).
In dem Spannungsfeld dieser beiden Rechtsgüter, Selbstbestimmungsrecht des Kindes einerseits und Erziehungsrecht der Eltern andererseits, muss sich das beraterische Handeln verorten. Eine Beratungsfachkraft ist demnach dazu angehalten, sich eng an den Wünschen und Sorgen des Kindes zu orientieren, dabei seine Einsichtsfähigkeit im Kontext von Beratung zu beurteilen (vgl. bke 2012, S. 15, S. 16) und die Einbeziehung der Eltern zu berücksichtigen. Bei diesem Austarieren müssen sich Kinder und Jugendliche darauf verlassen können, dass die Beratung genauso lange vertraulich bleibt, wie ihre Offenlegung gegenüber den Personensorgeberechtigten den Beratungszweck vereiteln würde.
Deshalb ist eine zeitliche Obergrenze für eine Beratung ohne Kenntnis des Sorgeberechtigten nicht vorgegeben.
Vielmehr richtet sich die Dauer nach den Umständen im Einzelfall (vgl. Wapler 2022, S. 113). Vorgehensweisen, die eine Begrenztheit in der Anzahl vertraulicher Gespräche nahelegen, wie z. B. „Wir können nur ein bis fünf Gespräche alleine führen, dann müssen wir deine Eltern verständigen“, sind hiernach weder justitiabel noch hilfreich. In unserem Selbstverständnis ist Beratung dem Wohl des Kindes/Jugendlichen verpflichtet. Sie zielt im selben Sinne darauf ab, die Einbeziehung der Personensorgeberechtigten zu ermöglichen. Gemeinsam mit dem Kind/Jugendlichen gilt es, die bestehenden Vorbehalte gegen eine Einbeziehung der Eltern zu prüfen und über Möglichkeiten zu sprechen, ob und wie die Eltern zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll einbezogen werden können. Mit Ausnahme schwerwiegender und schwer veränderbarer Bedrohungen des Minderjährigen (z. B. Gewalt zu erleben oder von der Familie ausgeschlossen zu werden) ist deshalb eine mit dem Minderjährigen erarbeitete Einbeziehung oder nachträgliche Einwilligung der Eltern in den Beratungsprozess eine rechtlich gebotene und fachlich anzustrebende Leitfigur unseres Handelns in der OS und in den anschließenden Beratungsgesprächen.
Die Sicherheit, dass die Erziehungsberechtigten von uns nicht über die Inhalte der Gespräche informiert werden, solange der junge Mensch sich dies wünscht, kann unserer Erfahrung nach ein wichtiger Türöffner sein.
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