LSBTIN*-breitrag Grafik
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Fachbeitrag

Was ist eigentlich gemeint mit LSBTIN*…?! Und warum ist das im Beratungskontext wichtig?
Diese oder ähnliche Buchstabenketten begegnen einem unweigerlich bei den Themen sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität. Manchmal sind sie länger oder kürzer, manchmal auf Deutsch, manchmal auf Englisch, teilweise mit Sonderzeichen wie + oder *. Aber was steckt eigentlich dahinter?

Egal wie lang diese Buchstabenketten sind oder in welcher Sprache sie genutzt werden, es handelt sich um die Bezeichnung von Menschen, die sich außerhalb von Hetero- und/oder Cisnormativität bewegen. Was heißt das? Mit Heteronormativität ist die gesellschaftliche Annahme gemeint, dass Menschen entweder Mann oder Frau sind (binäres Geschlechtersystem) und dass sie sich gegenseitig anziehend finden, sie also heterosexuell sind. Cisnormativität meint die gesellschaftliche Annahme, dass Menschen sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.

Es geht also um Personen, die diesen gesellschaftlichen Vorstellungen nicht entsprechen und oft als anders, vielleicht sogar als falsch oder krank markiert werden. Damit gehen häufig Diskriminierungserfahrungen einher, die gerade bei jungen Menschen zu besonderen Herausforderungen in der Identitätsentwicklung führen können.

Es gibt eine Reihe von Glossaren und Versuchen von Definitionen, die die einzelnen Buchstaben erklären. Diese Erklärungs- und Definitionsversuche sind zunächst hilfreich, um Ordnung im Kopf zu schaffen. Allerdings haben die Selbstdefinitionen, die Personen für sich wählen, immer Vorrang!

Wenn wir als Fachstelle „gerne anders!“ versuchen, Definitionen zu finden, ist es uns wichtig, vorher deutlich zu machen, dass wir mit geschlechtszuweisenden Begriffen wie z. B. „Frau“ oder „Junge“ immer alle Personen meinen, die sich selbst mit diesen Begriffen identifizieren, völlig unabhängig davon, wie sie vielleicht von anderen wahrgenommen bzw. gelesen werden oder wie ihre körperliche Konstitution ist.
Die NRW-Fachberatungsstelle „gerne anders!“ sensibilisiert Träger und Fachkräfte der Jugendhilfe für die Lebenslagen von LSBTIN* Jugendlichen und für sexuelle Vorurteile. Durch Fortbildung, Fach- und Organisationsberatung unterstützt die Fachberatung dabei, LSBTIN* Jugendliche als Zielgruppe der Jugendhilfe in den Blick zu nehmen sowie LSBTIN*feindlichkeit, Hetero- und Cisnormativität unter Jugendlichen zu begegnen.

Wenn wir also von lesbisch sprechen, meinen wir Mädchen/Frauen, die Mädchen/Frauen lieben und/oder begehren. Sprechen wir von schwul sind Jungen/Männer gemeint, die Jungen/Männer lieben und/oder begehren. Bisexualität beschreibt Lieben und/oder Begehren von zwei Geschlechtern (die nicht Mann und Frau sein müssen). Und pansexuell sind Personen, die Personen lieben und/oder begehren, die nicht durch die eigene Geschlechtszuordnung und die der Partner*innen definiert werden.

Im Themenbereich geschlechtliche Identität begegnen einem eine Vielzahl von Begriffen, die nicht immer ganz eindeutig voneinander abgrenzbar sind. Hier ein kleiner Überblick: Cis sind Personen, die sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Trans* wird häufig als Oberbegriff für Personen genutzt, die sich nicht oder nicht nur mit dem einen Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesenen wurde (meist männlich oder weiblich). Nicht-binär (NB) sind Personen, die sich weder oder nicht nur als männlich oder weiblich identifizieren. Manche NB Personen verstehen sich Trans* andere nicht.

Inter* sind Personen mit meist angeborenen körperlichen Merkmalen, die nach aktuell geltenden medizinischen
Maßgaben weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugewiesen werden können. Inter* kann aufgrund anatomischer, hormoneller und/oder chromosomaler Indikation diagnostiziert werden. Inter* ist im Gegensatz zu LSBT und N, eine Fremddiagnose, die aufgrund von körperlichen Merkmalen von außen gestellt wird. Wie sich Personen mit naturgegebenen Varianten körpergeschlechtlicher Entwicklung identifizieren, ist genauso vielfältig wie bei allen anderen Menschen auch.

Warum ist das für die Beratung wichtig? Weil Menschen, die eine Beratung in Anspruch nehmen möchten eine Atmosphäre brauchen, in der sie sich angenommen fühlen, in der sie sich nicht lange für ihr So-Sein erklären oder gar rechtfertigen müssen. Und weil das schon bei der Ansprache, beim ersten Kontaktaufbau wichtig ist, ist auch die Auseinandersetzung mit Sprache wichtig.

Denn Sprache schafft Realitäten und Sichtbarkeit, denn nur wer sichtbar ist, findet auch statt. Das heißt nicht, dass alle Berater*innen alle Begrifflichkeiten aus dem Spektrum sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität bis ins kleinste Detail zu kennen müssen. Es geht darum, eine offene Haltung zu entwickeln, sich mit den Themen auseinanderzusetzen und damit, was es bedeutet, sich außerhalb von Hetero und/oder Cisnormativität zu bewegen sowie die besonderen Lebenswelten von gerade jungen Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*, Inter* und nicht-binären Personen zu sehen, im Kern zu verstehen und sich für Vielfalt und gegen Ausgrenzung und Diskriminierung einzusetzen. Dazu ist es wichtig, die eigenen Wertevorstellungen, Normen und Vorurteile zu reflektieren sowie Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen.

Konkret heißt das beispielsweise:

  • Wenn eine Mutter in die Erziehungsberatung kommt, weil sie Schwierigkeiten mit ihrem Kind hat und die Lebenssituation erfragt wird, kann nach dem Vater gefragt werden (heteronormativ) oder nach einem weiteren Elternteil. Die Frage lässt auch zu, dass die andere Person z. B. eine Frau ist.
  • Die Anrede „Herr“ oder „Frau“ lässt nur binäre Identitäten zu. Wenn Menschen mit Vor- und Nachname angesprochen werden, wird auf die Geschlechtszuweisung (die ja falsch sein kann) verzichtet. Wird also eine ratsuchende Person mit „Guten Tag, Sie sind Lisa Müller, richtig? Schön, dass Sie da sind.“ begrüßt, wird der Person keine Geschlechtsidentität zugewiesen, die sie ggf. korrigieren muss, weil Lisa Müller sich nicht-binär identifiziert.
  • Wird ein Jugendlicher gefragt, ob er eine Freundin hat, fällt es ihm wahrscheinlich schwer zu erzählen, dass er sich gerade in seinen Fußballkumpel verliebt hat. Die Frage „Bist du verliebt“ lässt das offen.

Viele dieser (sprachlichen) vermeintlichen Kleinigkeiten machen es LSBTIN* Personen leichter sich zu öffnen. Manchmal kann es auch sinnvoll sein, auf der Internetseite oder an der Tür z. B. mit einer kleinen Regenbogenfahne zu signalisieren, dass die Beratungsstelle LSBTIN* sensibel ist. Aber ACHTUNG! Wirklich nur dann mit dieser Symbolik arbeiten, wenn sich das Berater*innen-Team mit den Themen auseinandergesetzt hat und eine klare, einheitliche Linie hat. Das bedeutet nicht, dass alle Berater*innen die gleichen Kompetenzen haben müssen, aber eine akzeptierende Grundhaltung und dazu gehören auch Ansprache, Formulare usw. sollte Konsens sein.

Wenn Sie sich als Fachkraft der Jugendarbeit/Jugendhilfe auf den Weg machen möchten und Unterstützung suchen, dann melden Sie sich bei uns.

Referent:in

Wibke Korten
Dipl. Sozialpädagogin FH
Stellv. Leitung „gerne anders!“
NRW-Fachberatungsstelle „gerne anders!“

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